PROJEKTE
Reverse Engineering von Motorsteuersoftware
Im Zusammenhang mit dem sogenannten Dieselskandal erstellen wir unabhängige Gerichtsgutachten. Dazu wird die Motorsteuersoftware eines Diesel-Fahrzeugs auf Abschalteinrichtungen bei der Abgasnachbehandlung untersucht.

Motorsteuergerät
Im Gegensatz zu Kfz-Gutachtern messen wir nicht den Schadstoffausstoß des Fahrzeugs auf dem Teststand, sondern analysieren die Software im Motorsteuergerät. Das macht es möglich, die Absicht des Entwicklers bei der Entwicklung der Motorsteuersoftware zu erkennen. So sehen wir zum Beispiel, bei welcher Umgebungstemperatur der Motor von einem “sauberen”, an den Testzyklus angepassten, Modus in den “normalen” Modus wechselt und dann eventuell wesentlich mehr Schadstoffe ausstößt (das sogenannte Thermofenster). Andere Abschalteinrichtungen erkennen zum Beispiel die Messung auf dem Teststand am Fehlen von Lenkbewegungen. Auch das lässt sich durch die Analyse der Software nachweisen.
Dazu muss die Software mittels Reverse Engineering aus der Binärdatei aufwendig rekonstruiert und analysiert werden. Der eigentliche Quellcode ist Eigentum des Autoherstellers und nicht öffentlich zugänglich.
Ein weiterer Vorteil des Reverse Engineering ist die Übertragbarkeit der Erkenntnisse auf andere Fahrzeuge des gleichen Modells oder sogar auf ähnliche Fahrzeugmodelle, die die gleiche Motorsteuersoftware verwenden und sich oft nur in Konfigurationsparametern unterscheiden.
Aus den Erkenntnissen des Reverse Engineering lassen sich außerdem klare Hinweise für aussagekräftige Tests auf dem Rollenprüfstand gewinnen. Statt wochenlanger Tests mit schrittweisen Modifikationen des Fahrzyklus genügt eventuell ein einmaliges Ausführen des Fahrzyklus, bei dem durch eine minimale Änderung die Teststanderkennung deaktiviert wird.
Umgekehrt ist die Kombination aus Reverse Engineering und Tests auf dem Rollenprüfstand auch hervorragend dazu geeignet, bei einem Fahrzeug mit korrekter Abgasreinigung, also ohne unzulässige Abschalteinrichtung, die ordnungsgemäße Funktion zu belegen. Es lassen sich Vorhersagen treffen, inwieweit die Abgaswerte bei unterschiedlichen Bedingungen auf der Straße von den Ergebnissen im Testzyklus abweichen. Diese Vorhersagen kann man dann mit einigen Beispielszenarien auf dem Teststand überprüfen.
Anatomie einer Abschalteinrichtung
Die Abschalteinrichtung ist in der Regel vollständig in der Software des Motorsteuergeräts enthalten. Sie besteht meist aus drei Komponenten, der Testzykluserkennung, der Abgasmanipulation und zusätzlichen Einschränkungen, zum Beispiel einem Thermofenster.
Testzykluserkennung
Ein Fahrzyklus, wie der Neue Europäische Fahrzyklus (NEFZ), wird in einem Testlabor auf einem Rollenprüfstand ausgeführt. Die Verhältnisse bei diesem Test sind exakt festgelegt und unterscheiden sich deutlich von den Verhältnissen beim normale Fahren auf der Straße.
So ist zum Beispiel das Fahrzeug auf dem Rollenprüfstand stationär festgezurrt und daher keinen Beschleunigen ausgesetzt. Beim Fahren auf der Straße gibt es dagegen sowohl Längsbeschleunigungen beim Gasgeben bzw. Bremsen als auch Querbeschleunigungen bei der Kurvenfahrt. Für beide Beschleunigungsarten verfügt die Motorsteuerung über Sensoren und kann so den Testzyklus erkennen.
Es sind viele andere Parameter vorstellbar, an denen die Motorsteuerung den Testzyklus erkennen kann, zum Beispiel das Fehlen von Lenkbewegungen, die geringe Maximalbeschleunigung, der Kaltstart. Dazu können auch ganz unterschiedliche Sensoren verwendet werden: Parksensor, Rückfahrkamera, Totwinkelassistent und viele mehr.
Wurde der Testzyklus erkannt, schaltet die Motorsteuerung in einen speziellen Teststandmodus um. Dies tut sie, indem sie einen Parameter auf einen anderen Wert setzt. So wird zum Beispiel der Parameter Akustikbedingung von falsch auf wahr gesetzt. Dieser Parameter dient als Nachricht an andere Funktionen in der Motorsteuerung, in den “sauberen” Modus zu wechseln.
Abgasmanipulation
Der Dieselmotor verfügt über mehrere Vorrichtungen zur Verringerung der Entstehung von Schadstoffen und zur Abgasnachbehandlung. Das sind zum Beispiel: Abgasrückführung, NOX-Speicherkatalysator, SCR-Katalysator, Rußfilter.
Alle diese Vorrichtungen verursachen Kosten bei der Produktion und Wartung und können die Langlebigkeit und die Leistungsdaten des Motors reduzieren.
Alle Katalysatoren müssen regelmäßig “regeneriert” werden. Dazu wird, durch kurzzeitigen Betrieb mit einem “fetten” Gemisch oder andere Maßnahmen, die Temperatur in der Abgasanlage deutlich erhöht. Die Regenerationszyklen belasten durch die häufigen Temperaturwechsel die Abgasanlage und führen zu einer Reduktion der Lebensdauer.
Der Fahrzeughersteller kann erhebliche Kosten sparen und die Leistung und Langlebigkeit des Fahrzeugs verbessern, indem er die Einrichtungen zur Schadstoffreduktion gerade so auslegt, dass sie unter den Bedingungen des Fahrzyklus auf dem Teststand optimal funktionieren. So kann er die Katalysatoren zu klein dimensionieren, so daß sie nur bei den geringen Belastungen des Fahrzyklus zufriedenstellend funktionieren. Er kann die Regenerationszyklen beim normalen Fahren auf der Straße verlängern oder die Regeneration komplett deaktivieren, er kann die Abgasrückführung reduzieren oder ebenfalls komplett ausschalten.
Es sind noch viele weitere Möglichkeiten der Abgasmanipulation denkbar. Sie werden in der Regel alle durch die Testzykluserkennung an- beziehungsweise ausgeschaltet.
Thermofenster und andere Einschränkungen
Meist ist die Testzykluserkennung nicht zu 100% zuverlässig. Beim normalen Fahrbetrieb kommt es dann gelegentlich vor, dass die Testzykluserkennung anschlägt und die Motorsteuerung in den “sauberen” Teststandmodus umschaltet. Bei angenehmen Temperaturen und auf Meereshöhe stellt das kein größeres Problem dar. Bei Frost oder in den Bergen kann aber ein Betrieb im Teststandmodus schnell zu Motorschäden führen. Daher gibt es weitere Einschränkungen. Zum Beispiel wird der Teststandmodus auf Umgebungstemperaturen zwischen 15 Grad und 35 Grad beschränkt (Thermofenster) oder es gibt eine Beschränkung auf einen bestimmten Luftdruck, so daß die Abgasnachbehandlung ab einer bestimmten Höhe über dem Meer ganz oder teilweise deaktiviert wird (Höhenfenster). Die Motorsteuerung verfügt über eine Vielzahl von Sensorinformationen, die zu diesem Zweck verwendet werden können, zum Beispiel Luftdruck, Außentemperatur, Motortemperatur.